Meine Erfahrungen mit der unsichtbaren Wissenschaft hinter der Insulindosis
wenn mir jemand sagt: „Aber du hast doch Insulin, dann ist doch alles okay, oder?“, muss ich erstmal tief durchatmen. Denn was da in mir an Mikrodosierungen, Timing, Empfindlichkeit und Bauchgefühl abläuft, ist mehr Kunst als Wissenschaft – obwohl’s eigentlich Medizin ist.
Heute geht’s weiter mit Teil 2 meiner Serie: Die Insulintherapie. Klingt technisch, ist aber im Alltag eine echte Achterbahnfahrt. Lass uns eintauchen:
10. Insulindosis
Die Grundformel ist bekannt: X Gramm Kohlenhydrate = Y Einheiten Insulin.
Doch in der Praxis ist „Y“ bei mir ein sich ständig verschiebender Wert. Mal reichen 5 Einheiten, mal brauche ich 8 – für das gleiche Essen. Warum? Weil mein Körper eben kein Reagenzglas ist.
Ich passe meine Dosis ständig an – abhängig von Bewegung, Stresslevel, Wetter, und… zwischenzeitlich immer wichtiger geworden … Bauchgefühl.
11. Zeitpunkt der Insulingabe
„Bolus 15 Minuten vor dem Essen“ – steht in vielen Ratgebern. In der Theorie macht das total Sinn, in der Praxis… naja.
Wenn ich zu früh spritze und das Essen sich verspätet → Unterzucker.
Wenn ich zu spät bin → Blutzuckerpeaks.
Ich habe gelernt, mich an der Art der Mahlzeit zu orientieren: Bei schnellen Carbs (z. B. Saft) direkt vorher, bei z.B. Pizza besser sogar nach dem ersten Bissen, in mehreren Teilen.
12. Art des Insulins (kurz- vs. langwirksam)
Ich verfolge derzeit den ICT (Intensivierte Konventionelle Therapie) ansatz mit einem Basalinsulin und einem kurzwirksamen Bolus und trage keine Pumpe.
Mir wurde von Pumpenträger:innen gesagt das der Unterschied riesig sei.
Mit Basalinsulin kommt man stabiler durch den Tag, ist aber weniger flexibel.
Mit der Pumpe kann exakter reagiert werden, aber das brauche mehr Aufmerksamkeit, z. B. bei Basalratenschwankungen über den Tag.
Da ich keine Erfahrung mit einem Pumpen Setup habe verlasse ich mich hier auf die Schilderung anderer. Ich denke jedoch jeder kann/muss für sich selbst entscheiden was die bessere / angenehmere Lösung für sich selbst ist.
13. Insulinempfindlichkeit (tageszeitabhängig)
Morgens brauche ich für ein Brötchen mit Marmelade fast das Doppelte an Insulin wie abends. Das nennt sich Dawn-Phänomen – der Körper schüttet morgens mehr Gegenspielerhormone aus, die das Insulin blockieren.
Ich habe mir für den Morgen eine eigene Korrekturfaktor-Strategie angelegt. Mein CGM hilft mir, das fein zu justieren – aber es bleibt ein Spiel mit vielen Variablen.
14. Lipodystrophie (Hautveränderungen durch häufiges Spritzen)
Das sind verhärtete Stellen rund um den Injektionsbereich der Insulinpens.
Wenn ich an der gleichen Stelle zu oft spritze, bildet sich Fettgewebe um – und das verlangsamt oder verhindert sogar die Insulinaufnahme.
Ich rotiere meine Stellen jetzt sehr diszipliniert – und merke sofort einen Unterschied im Blutzuckerverlauf!
15. Ort der Injektion (Bauch vs. Oberschenkel usw.)
Der Bauch ist mein Go-to-Ort für schnelle Aufnahme – da wirkt Insulin bei mir am gleichmäßigsten.
Am Oberschenkel? Viel langsamer.
Im Arm? Eher unberechenbar.
Mir wurde erzählt dass, besonders vor dem Sport, NIE ins Bein gespritzt werden sollte – sonst geht das Insulin mit der Bewegung zu schnell rein und man landet schnell im Hypo.
Tipp: Wenn der Zucker nicht macht, was er soll – frag dich: Wo hab ich gespritzt?
16. Insulinpumpe vs. Pen
Immer mehr Diabetiker steigen heutzutage auf ein Pumpensystem um. Insbesondere mit der Möglichkeit diese direkt mit dem jeweiligen CGM zu verbinden (close Loop). Auch das kann ein nachhaltiger Schritt sein seine Werte dauerhaft besser in den Griff zu bekommen. man kann Basalraten anpassen, temporär hoch- oder runterfahren (z. B. bei Sport oder Krankheit) und Bolusabgaben splitten.
Aber: Es ist auch mehr Technik, mehr Verantwortung, mehr Katheterwechsel und mehr „was ist, wenn der Schlauch knickt?“.
Der Pen ist simpler, aber unflexibler. Ich bin (noch) keinPumpenträger – aber es ist definitiv Typsache.
17. Verzögerung in der Insulinwirkung („Insulin on board“)
Ein echter Klassiker: Ich korrigiere einen hohen Wert → es tut sich eine halbe Stunde nichts → ich korrigiere nochmal → eine Stunde später: Hallo Hypo!
Warum? Weil das erste Insulin noch wirkt – ich hatte es nur nicht geduldig genug beobachtet.
Insulin bleibt mehrere Stunden im Körper aktiv, auch wenn der Peak nach 1–2 Stunden ist. Ich rechne deshalb immer mit „Insulin on Board“.
Fazit
Insulin ist für uns Typ-1-Diabetiker das Lebenselixier – aber auch eine der unberechenbarsten Variablen im Alltag.
Es ist nie nur die Menge. Es ist die Uhrzeit. Der Ort. Die Vorgeschichte. Die Bewegung. Die Tagesform.
Ich habe gelernt, nicht stur auf Tabellen zu vertrauen, sondern mich selbst besser zu beobachten – das macht mich freier.
In Teil 3 geht’s weiter mit einem Thema, das in vielen Lehrbüchern zu kurz kommt: Bewegung und Sport. Denn egal ob Jogging, Yoga oder Spazierengehen – Bewegung ist nie neutral für den Blutzucker.
Bis bald – bleib stabil (im Blutzucker und im Leben)!