Ein persönlicher Erfahrungsbericht aus dem Alltag mit Typ-1-Diabetes
ich bin nun seit April 2024 Typ-1-Diabetiker und wenn ich eins in dieser Zeit gelernt habe, dann das: Blutzucker reagiert nicht nur auf das Offensichtliche – also die Kohlenhydrate –, sondern auf eine ganze Palette an Dingen, über die man oft erst stolpert, wenn’s im Alltag plötzlich nicht mehr logisch läuft.
In dieser Blog reihe nehme ich dich mit durch die erwähnten 42 Faktoren, die (meiner Erfahrung nach) Einfluss auf den Blutzucker haben. Heute starten wir mit dem Thema Ernährung – klingt einfach, ist aber alles andere als das.
1. Kohlenhydratmenge
Das ist der Klassiker. Die erste Lektion nach der Diagnose: „Zähle deine KE (Kohlenhydrateinheiten), gib dein Insulin dazu, alles wird gut.“
Naja… nicht ganz. Natürlich ist die Menge entscheidend – zu wenig Insulin bei vielen Carbs = Hyper, zu viel = Hypo. Aber die Rechnung „1 Broteinheit = 1 Insulineinheit“ geht halt nicht immer auf. Ich muss je nach Tageszeit unterschiedlich dosieren, bei mir z. B. morgens deutlich mehr als abends.
2. Art der Kohlenhydrate (glykämischer Index)
Schnelle Carbs (wie Weißbrot, Fruchtsaft, Gummibärchen) schießen mir den Zucker innerhalb von 15 Minuten nach oben. Langsame Carbs (z. B. Linsen, Vollkorn, Haferflocken) schleichen sich eher rein – das ist tricky, weil das Insulin manchmal schneller wirkt als das Essen, und dann lande ich vor dem Essen im Unterzucker, nur um später wieder hochzugehen.
Ich plane daher warte mit dem Spritzen bei sehr langsamen Carbs.
3. Fettanteil der Mahlzeit
Pizza. Burger. Curry. Ich liebe es – mein Blutzucker nicht. Fett verzögert die Magenentleerung. Bedeutet: Die Kohlenhydrate kommen später an, das Insulin wirkt aber schon. Ergebnis? Möglicherweise erst ein Hypo, dann ein fieser, langanhaltender Anstieg.
Ich arbeite bei fettreichen Mahlzeiten mit geteilten Bolusgaben: Ein Teil sofort, der Rest über 2–3 Stunden verteilt. Trial and Error war angesagt, bis ich das halbwegs raus hatte.
4. Eiweißmenge
Ich hab lange gedacht: Eiweiß = kein Problem. Bis ich mal zwei Rindersteaks (ohne große Beilage) gegessen habe – und fünf Stunden später bei 250 mg/dl gelandet bin.
Ja, Eiweiß kann zu Glukose umgewandelt werden – langsam, aber deutlich. Vor allem bei Low-Carb-Mahlzeiten merke ich das stark. Also: Auch Eiweiß braucht manchmal Insulin – aber eben mit Verzögerung.
5. Ballaststoffe
Ballaststoffe sind meine Freunde. Sie verlangsamen die Kohlenhydrataufnahme und helfen, Spitzen zu vermeiden. Wenn ich z. B. Haferkleie in mein Frühstücksmüsli mixe, steigt mein Blutzucker viel sanfter an.
Tipp: Flohsamenschalen wirken Wunder – aber immer mit genug Wasser!
6. Alkohol
Alkohol ist ein echter Joker. Je nachdem, wie viel und was ich trinke, geht mein Blutzucker hoch – oder später in der Nacht gefährlich runter.
Der Grund: Die Leber ist mit dem Alkoholabbau beschäftigt und stoppt dabei teilweise die Glukoseproduktion.
Ich esse IMMER eine kleine kohlenhydrathaltige Mahlzeit vor dem Schlafen, wenn ich getrunken habe. Sonst droht der nächtliche Unterzucker.
7. Koffein
Kaffee am Morgen – für mich mittlerweile ein Ritual. Aber auch ein kleiner Blutzuckeraufreger.
Koffein steigert bei mir die Insulinresistenz. Das bedeutet: Ich brauche etwas mehr Insulin für’s Frühstück, wenn ich meinen Morgenkaffee dazunehme.
Ist nicht bei allen so, aber bei mir definitiv messbar.
8. Mahlzeitenfrequenz
Snacke ich den ganzen Tag? Mein Blutzucker hat wenig Ruhe.
Esse ich 2–3 größere Mahlzeiten mit Pausen dazwischen? Ich kann die Wirkung des Insulins besser steuern.
Das „Daueressen“ oder ständige Korrigieren mit kleinen Snacks (besonders wenn man, wie ich, mit Pen spritzt) führt oft dazu, dass ich nicht mehr genau weiß: Was wirkt hier gerade eigentlich noch?
Eine recht umfangreiche Zusammenstellung findet man z.B. bei Diabetes-Deutschland.de
9. Zeit der Nahrungsaufnahme
Late-Night-Snacks sind tückisch. Meine Insulinempfindlichkeit ist abends allerdings reduziert, und meine Basalrate nachts niedrig, um Hypos zu vermeiden.
Ergebnis: Ein Snack um 22 Uhr kann mich bis 3 Uhr früh beschäftigen.
Wenn ich spät esse, dann eher protein-/fettlastig mit nur wenig Kohlehydraten – und mit viel Bedacht dosiertem Insulin.
Fazit
Ernährung ist naturgemäß ein riesiger wenn nicht sogar der wichtigste Faktor im Diabetes-Management. Es ist nicht nur die Frage: Was esse ich?, sondern auch wann, wie viel, in welcher Kombination und wie regelmäßig.
Ich habe lange gebraucht, um meine Muster zu verstehen – und sie verändern sich immer wieder.
In Teil 2 dieser Serie geht es dann um den nächsten großen Block: Insulintherapie – Dosis, Zeitpunkt, Art der Gabe… und warum „Insulin ist Insulin“ leider ein gefährlicher Mythos ist.
Danke fürs Lesen – und falls du selbst Typ 1 bist: Welche Essgewohnheiten bringen deinen Zucker ins Wanken?